Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen scheitert: nicht ordnungsgemäßer Ablauf eines BEM Verfahrens

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In einem Arbeitsgerichtsverfahren mit Urteil vom 24.06.2021 kippte das Arbeitsgericht Köln eine krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitgebers (ArbG Köln, Urteil vom 24.06.2021, Az. 10 Ca 7069/20). Der Arbeitgeber konnte aus Sicht des Gerichtes eine negative Gesundheitsprognose einer Mitarbeiterin, die als Verladerin tätig ist, nicht nachvollziehbar darlegen. Erschwerend kam hinzu: Das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) erfolgte schon im ersten Teil des Ablaufs des BEM Verfahrens nicht rechtskonform.

Ordentliche Kündigung darf stets nur letztes Mittel sein, ein BEM Verfahren ist zu priorisieren

Vor einer ordentlichen Kündigung sind stets mildere Mittel zu prüfen und anzuwenden. Dies kann beispielsweise eine Abmahnung sein, die zur Verhaltensabänderung auffordert und eine Warnfunktion hat, in dem auf eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses als Konsequenz hingewiesen wird. Da eine ordentliche Kündigung stets die Ultima Ratio ist, ist statt der Aussprache einer krankheitsbedingten Kündigung ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. BEM ist Teil der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

BEM nicht nur bei langzeiterkrankten, sondern auch häufig kurzerkrankten Mitarbeitern

Am 01.05.2004 wurde der § 167 Abs. 2 S. 4 SGB IX eingeführt mit der gesetzlichen Verpflichtung an den Arbeitgeber, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen. Die Rechtsnorm ist vollständig zu erfassen. Sie bezieht nicht allein auf „Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Rechtsnorm drei Ziele: die Überwindung der Arbeitsunfähigkeit, die Vermeidung einer erneuten Arbeitsunfähigkeit sowie den Erhalt des Arbeitsplatzes.

Der Absatz 2 des § 167 SGB IX definiert sowohl die Auslöseschwelle und die Adressaten eines betrieblichen Eingliederungsmanagement: „Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig…“. Somit sind nicht allein langzeiterkrankte, sondern auch häufig kurzerkrankte Mitarbeiter Zielgruppe eines BEM.

Um wiederholte Kurzzeiterkrankungen einer Mitarbeiterin ging es auch in dem Arbeitsgerichtsverfahren am ArbG Köln. Viele Unternehmen bringen ein intern oder extern durchgeführtes BEM-Verfahren jedoch häufig ausschließlich mit langzeiterkrankten Beschäftigten in Verbindung. Auch haftet Mitarbeitern mit Kurzerkrankungen nicht selten das Vorurteil der „Montagskrankheit“ oder dem Nehmen einer Auszeit an. Dabei sollte es im Interesse des Betriebes sein, zu analysieren und zu klären, ob Arbeitsprozesse mit vermeidbaren Belastungen oder das Arbeitsklima in einem Team zu häufigen Kurzerkrankungen führen. Hinzu kommt: Die Rechtsnorm ist mit dem Begriff „Prävention“ überschrieben. Das bedeutet auch, dass Unternehmen nicht bis zur Auslöseschwelle von sechs Wochen bzw. 42 Tagen warten müssen, um ein BEM-Verfahren zu initiieren. In Zeiten des Arbeitskräfte-, Führungs- und Fachkräftemangel kann ein betriebliches Eingliederungsmanagement ein Tool gegen den betrieblichen Personalmangel sein und auch Belastungen für die verbliebenen Mitarbeiter am Arbeitsplatz vermeiden. Mit einem frühzeitig gestarteten betrieblichen Eingliederungsmanagement können hohe Fehlzeiten, der Chronifizierung von Krankheiten und dem Verlust von Fachkräften begegnet werden. Auch Zeiten der beruflichen Rehabilitation oder langwierige berufliche Eingliederung und Reintegration am Arbeitsplatz können so verkürzt werden.

Bereits zu Beginn des Ablaufs des BEM-Verfahrens war das Einladungsschreiben grob fehlerhaft

Zu Recht wird zu Beginn des Ablaufes eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht allein von einem BEM-Einladungsschreiben, sondern von einem BEM-Einladungsmanagement gesprochen. Dies gilt verstärkt bei der Beauftragung eines externen betrieblichen Eingliederungsmanagements durch ein Unternehmen, da der Dienstleister nicht nur die Koordination und Berücksichtigung verschiedener Beteiligter gewährleisten, sondern den Datenschutz in einem BEM-Verfahren sicherstellen muss, mithin, gewährleisten, dass der gesamtes BEM-Prozess rechtskonform erfolgt.

In dem hier vorliegenden Kündigungsschutzverfahren am Arbeitsgericht Köln kam zum Nachteil des kündigenden Unternehmens zum Tragen, dass im BEM-Einladungsschreiben durch den Arbeitgeber lediglich allgemein daraufhin gewiesen wurde, dass personenbezogene Daten erhoben und gespeichert werden, auch solche zum Krankheitsverlauf und deren Ursachen. Hinzu kämen in Rücksprache mit der Arbeitsnehmerin noch weitere Daten. In dem BEM-Einladungsschreiben wurde wie folgt allgemein ausgeführt: „Wir weisen sie darauf hin, dass personenbezogene Daten im Sinne des Bundesdatenschutzgesetzes erhoben und gespeichert werden. Das betrifft insbesondere die uns bislang bekannten Daten zu ihrem Krankheitsverlauf und deren Ursachen. Es wird gegebenenfalls erforderlich werden, in Abstimmung mit ihnen noch weitere Daten zu erheben, zu verwenden und zu übermitteln. Dabei wird unter Umständen auch auf vorhandene oder noch einzuholende Arztberichte, medizinische Einschätzungen und Atteste zurückzugreifen sein.“ (https://openjur.de/u/2457869.html)

Kündigungsschutzklage vor Arbeitsgericht Köln: bEM-Verfahren wurde nicht ordnungsgemäß durchgeführt

Dies genügte nach Ansicht des Arbeitsgerichtes Köln nicht und wies die krankheitsbedingte Kündigung auch mit Hinweis auf den § 167 Abs. 2 S. 4 SGB IX ab, da „die betroffene Person (…) zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen..“ wäre.

Die Richter fanden bzgl. des bEM-Einladungsschreibens deutliche Worte: Die Hinweise der Beklagten im Einladungsschreiben zum bEM sind unzureichend im Hinblick auf die Belehrungen zum Datenschutz.“ Dabei verweist das Kölner Arbeitsgericht auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht (BAG) und mahnt an, „…den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten..“ hinzuweisen… „Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht…“

Der Beschäftigten hätte mitgeteilt werden müssen, welche Krankheitsdaten erfasst, gespeichert und für welche Zwecke dem Unternehmen zugänglich gemacht werden. Auch hätten die Ziele des Betrieblichen Eingliederungsmanagement und die Ergebnisoffenheit des BEM Verfahrens, in die die Mitarbeiterin auch ihre Vorstellungen einbringen können, Erwähnung finden müssen. Da eine solche konkrete Unterrichtung der Arbeitnehmerin nicht erfolgt sei, handele es sich auch nicht um eine ordnungsgemäße Durchführung eines BEM Verfahrens durch das Unternehmen, auf das es sich bei der krankheitsbedingten Kündigung ebenfalls bezog.

Arbeitsgericht rügt das Ausbleiben eines frühzeitigen BEM-Gesprächs

Für die Feststellung einer negativen Gesundheitsprognose ist ein dreistufiges Verfahren notwendig. Hier vermischte der Arbeitgeber betriebliche Abwesenheit durch krankheitsbedingter Fehlzeiten mit Urlaubszeiten. Die beklagten Abwesenheiten waren auch deshalb niedriger. Bei der Darlegung der krankheitsbedingten Fehlzeiten der letzten Jahre zur Kündigung der Beschäftigten wegen negativer Gesundheitsprognose am 19.10.2020 rügte das Arbeitsgericht, dass das Unternehmen die hohen Krankheitstage in den Vorjahren nicht zum Anlass für ein frühzeitiges bEM Gespräch  genommen habe und führt zur Abweisung der Kündigung aus: „Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte vor dem Jahr 2020 mit der Klägerin kein bEM-Gespräch geführt hat. Dies wäre angesichts der Krankheitstage in den Jahren 2014-2018 sicherlich angezeigt gewesen und hätte den gesetzlichen Anforderungen entsprochen.“

 

Informationen zu betrieblichen Eingliederungsmanagement in Kassel, einem BEM für die Region Nordhessen, Südniedersachsen und den Hochsauerlandkreis finden Sie unter:

https://die-koepfe-entscheiden-den-wettbewerb.de/externes-bem-verfahren/

 

Über den Autor

Manfred Baumert ist Geschäftsführer und Gesellschafter der 2benefit GmbH Personalberatung aus Kassel, Absolvent eines MBA-Studienganges, Diplom-Kaufmann und Pädagoge. Für seine zehnjährige Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht Kassel wurde er mit einer Dankurkunde des Hessischen Ministeriums der Justiz ausgezeichnet.

 

Fotos: © Manfred Baumert/Kassel, 2023

 

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