Krankheitsbedingte Kündigung unwirksam! Unternehmen sind verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) anzubieten

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Das am Bundesarbeitsgericht (BAG) gegen eine Entscheidung des Landesarbeitsgericht Klage einreichende Unternehmen, hatte ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) abgebrochen, da die als schwerbehinderte Person gleichgestellte Mitarbeiterin, die fünf Jahre durchgängig erkrankt war, das Angebot eines bEM zwar annahm, die datenschutzrechtliche Einwilligung aber in der vorformulierten Fassung nicht unterzeichnen wollte. Die Firma beantragte sodann später beim Integrationsamt die Zustimmung zur krankheitsbedingten Kündigung mit Erfolg, so dass der Mitarbeiterin die ordentliche Kündigung wegen negativer Gesundheitsprognose durch das Unternehmen ausgesprochen wurde. Das letztinstanzliche BAG stellte in seiner Entscheidung vom 15. Dezember 2022 fest, dass die Kündigung unwirksam ist.

Nicht ordnungsgemäß durchgeführtes BEM-Verfahren, Fehleinschätzung zur Entscheidung des Integrationsamts, Verletzung der Verhältnismäßigkeit

Entscheidungsrelevant war für das Bundesarbeitsgericht in dem vorliegenden Fall (2 AZR 162/22) das nicht ordnungsgemäß durchgeführte betriebliche Eingliederungsmanagement, die Fehleinschätzung des Unternehmens, dass die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung gleichbedeutend mit einer mangelnden Erfolgsaussicht eines BEM anzusehen ist und die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, nach der eine Kündigung stets das letzte Mittel sein darf.

Datenschutz: nicht ordnungsgemäß durchgeführtes BEM-Verfahren macht Kündigung unwirksam

Das Bundesarbeitsgericht führte in seinem Urteil aus, dass die Mitarbeiterin ihr Interesse an einem betrieblichen Eingliederungsmanagement ausdrücklich kundtat und andere Formulierungen für die ihr vorgelegte vorformulierte Datenschutzerklärung anregte. Hingegen wäre es das Unternehmen gewesen, dass auf dem vorformulierten Text bestand und das gesamte BEM-Verfahren von dieser Datenschutzerklärung abhängig machte und nicht versucht hätte, die Vorbehalte der Mitarbeiterin auszuräumen, keine Einigung suchte und den BEM-Prozess abbrach. Das Bundesarbeitsgericht stellte klar: „§ 167 Abs. 2 SGB IX sieht die schriftliche Zustimmung des Arbeitnehmers in die Verarbeitung seiner im Rahmen eines bEM erhobenen personenbezogenen und Gesundheitsdaten nicht als tatbestandliche Voraussetzung für die Durchführung eines bEM vor. Nach § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX sind die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter lediglich zuvor auf die Ziele des bEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen.“ Und weiter: „Das Unternehmen hätte das BEM-Verfahren nicht abbrechen dürfen, nachdem die Mitarbeiterin die Unterzeichnung der Datenschutzerklärung verweigert hatte. Vielmehr hätte es das Wiedereingliederungsverfahren weiterführen und versuchen müssen, sich mit der Mitarbeiterin auf den Ablauf des BEM-Verfahrens und den Umfang der zu erhebenden Daten zu einigen.“ Hier wurde mutmaßlich unternehmensseitig verkannt, dass das Unternehmen zwar die Initiierung eines betrieblichen Eingliederungsmanagement bis hin zu Schadensersatzleistung auferlegt ist, der §167 Abs. 2 SGB IX jedoch umfangreiche Beteiligungsrechte des erkrankten Beschäftigten postuliert, mithin ihn zum gelichberechtigten Partners des gesamten BEM-Prozesses erklärt.

Integrationsamt und betriebliches Eingliederungsmanagement verfolgen unterschiedliche Ziele, haben unterschiedliche Abläufe

Die Zustimmungsentscheidung des Integrationsamts zur Kündigung der langzeiterkrankten Mitarbeiterin hätte das Unternehmen nicht dahingehend interpretieren dürfen, dass das betriebliche Eingliederungsmanagement zur Wiedereingliederung erfolglos sein dürfte. Das BAG zitierte in seinem Urteil aus einer früheren Entscheidung: „Das bEM und das Verfahren nach den §§ 168 ff. SGB IX haben zudem unterschiedliche Ziele, prozedurale Abläufe und Beteiligte. Das bEM ist ein verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll.“

Unternehmen sind zum betrieblichen Eingliederungsmanagement verpflichtet

Der dritte vom BAG gerügte Aspekt betrifft einen Rechtsgrundsatz: das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Im Arbeitsrecht gilt, dass die ordentliche Kündigung stets nur das letzte Mittel sein darf. Mildere Maßnahmen wie bspw. die Abmahnung etc. sind zu prüfen. Bezogen auf die krankheitsbedingte Kündigung in dem hier vorliegenden Fall führt das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 15.12.2022 aus: „..kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, es dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung zu ermöglichen, die im Rahmen eines bEM als zielführend erkannten Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch künftige Fehlzeiten auszuschließen oder zumindest signifikant zu verringern.“

Des Weiteren stellt es unter Randziffer 14 des Urteils klar: „Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich zwar im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich zunächst auf die Behauptung beschränken, für den Arbeitnehmer bestehe keine andere – seinem Gesundheitszustand entsprechende – Beschäftigungsmöglichkeit. War der Arbeitgeber jedoch gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zur Durchführung eines bEM verpflichtet und ist er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, ist er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Die Durchführung eines bEM ist zwar nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung. § 167 Abs. 2 SGB IX konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe eines bEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden.“

Es dürfte auf der Hand liegen, welche ungeheure Bedeutung dieses Urteil für das Unternehmen und die Arbeit der Interessensvertreter wie Betriebsrat, Personalrat oder Schwerstbehindertenvertretung haben dürfte. Was bedeutet dies nun für das Personalwesen in der betrieblichen Praxis?

Schlussfolgerungen aus der Verpflichtung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement für die betriebliche Praxis

Die Anforderungen in Kündigungsschutzprozessen bei krankheitsbedingter Kündigung steigen unablässig. Hinzu kommt, dass die jährlichen Gesundheitsreporte der Krankenkassen eine stetig wachsende Anzahl an Langzeiterkrankungen ausweisen. Der demographische Wandel mit zunehmend älteren MitarbeiterInnen am Arbeitsmarkt wird die Anzahl der Krankheitstage je Erkrankung weiter anwachsen lassen. Ältere Beschäftigte sind zwar nicht häufiger krank, dafür aber länger. Das bedeutet wiederum, dass die gesetzliche Auslöseschwelle für ein betriebliches Eingliederungsmanagement von sechs Wochen bzw. 42 Tagen zukünftig von einer stetig wachsenden Zahl von Mitarbeiter erreicht werden wird und die Unternehmen somit Kompetenzen in BEM vorhalten oder über externe qualifizierte BEM-Anbieter zukaufen müssen.

Professionelles und ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement frühzeitig initiieren

Unternehmen können sich vor einem kostspieligen Scheitern am Arbeitsgericht und den Verlust von Fachkräften schützen, indem sie regelhaft und möglichst frühzeitig Mitarbeitern ein qualifiziertes bEM-Verfahren anbieten und ordnungsgemäß durchführen. In dem hier vorliegenden Fall am Bundesarbeitsgericht kam es schon zu Beginn des BEM-Prozesses zum Abbruch. Aufgrund der rechtlichen Komplexität und der Kompetenzen für ein vertrauensvoll geführten BEM-Erstgesprächs wird nicht umsonst von einem BEM-Einladungsmanagement und nicht von einem Einladungsschreiben oder Mitarbeitergespräch gesprochen. Vielfach wird ein BEM-Erstgespräch fatalerweise mit einem Rückkehrgespräch verwechselt. Damit ist ein frühzeitiger Abbruch bzw. erfolgloses BEM-Verfahren schon vorprogrammiert.

Steht die krankheitsbedingte Kündigung im Raum, sollte erst einmal ein Schritt zurück erfolgen und einem professionellen und rechtssicheren betrieblichen Eingliederungsmanagement Vorrang und Raum gegeben werden. Und vor einem ist deutlich zu warnen: BEM als Feigenblatt für eine schon beabsichtigte spätere krankheitsbedingte Kündigung kann nicht gelingen. Bereits eine erstinstanzliche Prüfung am Arbeitsgericht wird häufig offenlegen, ob das Unternehmen in einem BEM-Verfahren „vernünftigerweise in Betracht kommende“ Maßnahmen berücksichtigte. Das Thema Schadensersatzansprüche des Mitarbeiters im Zusammenhang mit einem betrieblichen Eingliederungsmanagement gegen das durchführende Unternehmen würde hier zu weit führen und wird in einem späteren Beitrag im „Blog mit Benefit!“ bearbeitet werden.

 

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Fotos: © Manfred Baumert / Kassel, 2023

 

Über den Autor

Der Autor ist Absolvent eines MBA-Studienganges und verfügt über ein Diplom der Betriebswirtschaftslehre und der Pädagogik. Mehrjährige Ausbildung und Tätigkeit in der Krisenintervention, verschiedene Positionen als Geschäftsführer und Führungskraft, 10 Jahre lang ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht und seit 2012 Geschäftsführer und Gesellschafter der 2benefit GmbH Personalberatung aus Kassel.

 

 

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