Documenta fifteen: keine Krisenkommunikation, nirgends. Weltkunstausstellung documenta: seit 1955 eine großartige Erfolgsgeschichte – seit über 100 Tagen ein Kommunikations-Desaster

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An anderer Stelle schrieb ich und mehr als einen Monat vor Beginn der Weltkunstausstellung am 13. Mai 2022 zum Kommunikationsverhalten der documenta-Leitung zu den Vorwürfen antisemitischer Darstellungen: „Soll das Thema analog der Kunstausstellung ebenfalls 100 Tage laufen?“ Genau dazu kam es und es wird die documenta noch weit über die Ausstellungsdauer der doc15  hinaus beschäftigen.

Kritik an der Documenta fifteen: zwei antisemitische Figuren in einem riesigen Wimmelbild und mehr

In einem riesigen Wimmelbild der Underground-Künstler Taring Padi aus Indonesien – zentral aufgestellt auf Kassels Friedrichsplatz – wurden zwei antisemitische Figuren entdeckt. Das Bild wurde erst einen Tag vor Beginn der documenta aufgestellt, aufgefallen sind die Darstellungen dann wiederum später.

Genau genommen zeichnete sich der aufziehende Konflikt bereits im Januar des Jahres ab. Denn es gab bereits Monate vorher Hinweise auf Künstler, die der BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) nahestehen, die ihre Ziele in der wirtschaftlichen, politischen, aber auch kulturellen Isolation Israels sehen.

Da die documenta-Leitung frühzeitig verkannte, auch unter präventiven Gesichtspunkten in eine proaktive Kommunikation einzutreten, bot sie zwischenzeitlich das an, was sie noch im Mai, also über vier Wochen vor Beginn der 100tägigen Weltkunstausstellung abbrach: einen mehrteiligen Dialog. Der wurde zuerst noch unter dem Titel „We need to talk! Art – Freedom – Solidarity“ angekündigt.

Der Antisemitismus-Skandal der documenta weitet sich zu einer veritablen Krise aus: der Bundespräsident mahnt, der Bundeskanzler kommt nicht, Rücktritt der Generaldirektorin

Die anfängliche De-facto-Kommunikationsverweigerung der documenta-fifteen-Leitung zum sich ausweitenden Antisemitismus-Skandal und die Überforderung durch die ungeheure internationale mediale Wucht, schuf mutmaßlich eine Wagenburgmentalität, so dass ihr auch ein von einigen Experten als propalästinensischer eingeschätzter Propaganda-Film nicht auffiel. Bereits zuvor hatte die documenta-Krise die Verfassungsorgane erreicht: den Bundespräsidenten und den Bundeskanzler. Nicht nur in der Politik hat Symbolik einen hohen Wert! Die Generaldirektorin ging nach Wochen der nicht aufhören wollenden Kritik. Diese Konsequenz ließ sich schon frühzeitig im kommunikativen Umgang mit den Kritikern und den Medien absehen.

Erfolgreiche Kommunikation bedarf immer des Mutes und der Haltung

Die Idee der documenta-Leitung, zwischenzeitlich das Wimmelbild (schamhaft) zu verhüllen, ließ manche an die Verhüllungsprojekte des Künstlerehepaars Christo und Jeanne-Claude erinnern und mahnen. Schließlich baute die documenta-Leitung das Bild ab. So erweckte die documenta-Leitung nicht nur zunehmend den Eindruck, Getriebene des öffentlichen Diskurses zu sein, sie war es auch: „We need to talk!“ – wie wahr…

Erfolgreiche (Krisen-) Kommunikation bedarf immer des Mutes und der Haltung: ehrlich zu sich und gegenüber den eigenen Fehlleistungen und der eigenen Organisation zu sein, diese zu benennen, die Verletzungen oder Schäden Dritter wahrnehmen zu können und dies alles nicht nur empathisch zu kommunizieren, sondern für nachhaltige Abhilfe zu sorgen. Dies ist in den allermeisten Fällen materiell oder/und immateriell möglich. Das alles erfolgte hier weder frühzeitig noch bis zum Schluss glaubwürdig.

Die Krise eskaliert: „Antisemita 15“, mehr Einfluss vom Bund, Gefährdung der Kunstfreiheit

Da die Leitung der documenta-fifteen auch im weiteren Verlauf wenig professionelle Kommunikation zeigte, bekam der Diskurs eine zunehmend teils hässliche, gefährliche und substanziell unwidersprochene Schlagseite. Von einer „Antisemita 15“ war die Rede, die Forderung nach mehr Einfluss vom Bund kam auf und vor einer Gefährdung der Kunstfreiheit wurde gewarnt. Zu Recht wurde eingewandt, dass Kunstfreiheit kein Freibrief für Antisemitismus sein darf – weltweit. Die Krise verschärfte sich und eskalierte, so dass die documenta selbst und völlig unzutreffend als antisemitisch bezeichnet wurde. Die „Marke“ documenta mit ihrem modernen und globalen Anspruch, die alle fünf Jahre einen großen Kunstgenuss bietet, droht nachhaltig Schaden zu nehmen.

Bis zuletzt ziemlich festgefahren und kein Krisenmanagement

Der massive Schaden, den die documenta insgesamt erlitt wäre vermeidbar gewesen, hätte man bei der documenta fifteen frühzeitig auf professionelle Krisenkommunikation gesetzt. Stattdessen: keine Krisenkommunikation, nirgends. Das überrascht in Zeiten, in denen selbst kleine Mittelständler über Unternehmenskommunikation, ob über interne oder externe Ressourcen, verfügen und es dauerte bis zum Schluss der documenta fifteen unvermindert an. Wohingegen man Beratung und Expertise – aber auch das wenig offen und wenig kooperativ –  halbherzig in Erwägung zog und nur eng bezogen auf die Thematik antisemitischer  Kunst. Das alles wirkte sehr festgefahren und wenig souverän.

Die documenta ist, wie die früheren Oberbürgermeister Eichel, Bremeier, Hilgen und der aktuelle OB Christian Geselle in einer zutreffenden sieben Punkte umfassenden Erklärung in der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) formulierten eine „..moderne Kunstausstellung.., mit „…Globalität als Ziel und Anspruch“. Antisemitismus darf grundsätzlich und bei der documenta im Besonderen keinen Platz haben.

War das überraschend? Man rief Aktivisten und Aktivisten kamen

Die documenta fifteen wurde bewusst durch Aktivisten bestimmt. Man rief Aktivisten und Aktivisten kamen. Damit ist nicht zwangsläufig zu erwarten, dass es zu extremistischen, rassistischen oder menschenverachtenden Aussagen oder Beiträgen kommt. Wohl aber zu Pointierungen und Zuspitzungen. Und zu unklaren Verantwortlichkeiten durch ein Kuratoren-Kollektiv. Darüber hinaus kenne ich keine documenta, die nicht mit verschiedensten Vorgängen eine latente Quelle starker Diskussionen war, die sich schnell zuspitzen können oder über ihre Modernität per se immer wieder für Diskussionsstoff sorgten. Und dies ist auch gut so. Deshalb drängt sich aber auch die Frage auf: Weshalb verfügte die documenta nicht über eine professionelle Krisenkommunikation?

Krisen als Chance: Die Learnings für die Weltkunstschau documenta

Die Krise und der Eindruck der Kommunikationsverweigerung entstand auch deshalb, weil die documenta schon im Januar 2022, also ein halbes Jahr vor Beginn der 100-tägigen Kunstschau, erste Hinweise zu BDS-Künstlern ignorierte. Der Vorteil schneller Information in Echtzeit im Zeitalter von Facebook, Twitter etc. können Fluch und Segen zugleich sein. Je nachdem, wie man sie zu nutzen weiß. Zu diesem frühen Zeitpunkt hätte die Krise verhindert werden können über entsprechende rasche Reaktionen nach innen (stimmen die Vorwürfe?) und Kommunikation nach außen.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben

Dieser frühe Zeitpunkt hätte auch noch einen immensen Vorteil für die documenta gehabt: Es war (noch) eine Diskussion unter Fachleuten. Selbst die künstlerischen Beiträge waren für das Fachpublikum nicht sichtbar und es fand zu diesem Zeitpunkt keine breite Auseinandersetzung über soziale Medien mangels Sachinformationen oder über Fotos von Ausstellungsbesuchern und dem breiten Publikum, den Bürgern statt. Die documenta hätte nicht mit aufwendigen eigenem und ständig zur Verfügung zu stellenden Informationsmaterial agieren müssen. Kritik wahrnehmen, ernstnehmen, ein schnelles Reagieren und ein ehrlicher Umgang mit den Vorwürfen, hätten in dieser Phase alles später Folgende verhindert. Schnelligkeit in der Reaktion ist zur Krisenbewältigung entscheidend.

Krisen brauchen Management: Fachkompetenz und konkrete Vorbereitungen für den Ernstfall

Durchgängige Krisenkommunikation in Echtzeit kann nicht aus dem Stehgreif erfolgen. Dafür bedarf es Kompetenz und personelle Ressourcen. Nun wäre es sicher vermessen, dass die documenta durchgängig einen Kommunikationsprofi beschäftigt, wenn erfolgskritische Ereignisse vorwiegend alle fünf Jahre während der 100–tägigen Kunstschau zu erwarten sind. Was aber spricht dagegen, wenn die documenta Kompetenz extern zukauft und wenn nur für die 100 Tage der Kunstschau zuzüglich ein paar Wochen zuvor und gegebenenfalls danach? Warum keine Rahmenvereinbarung mit einem Kommunikationsprofi, der schon Wochen oder wenige Monate zuvor in relevante Prozesse eingebunden wird, Entwicklungen beobachtet und bei krisenhafter Zuspitzungen konzeptionell und gut vorbereitet agiert? Auch Wirtschaftsunternehmen binden in ihre Unternehmenshierarchie zunehmend Selbstständige und Freelancer ein.

Das Tempo in der Krise bestimmen erst einmal andere: immer mehr Medien und starker Content sorgen für hohe Seitenaufrufe

Man darf sich nichts vormachen: Die documenta ist eine internationale Marke, ihre Zielgruppe sind bildungs- und einkommensstarke und damit meinungsstarke Menschen. Sie ist international und ihre Posts orientieren sich nicht an der mitteleuropäischen Zeitzone. Hinzu kommt, dass immer stärker werdende Medienangebot und das Bestreben um starken Content und clickstarke Keywords in H1 und H2. Klar ist auch: Polarisierende Headlines beflügelnd Posts und Beiträge. Daraus generieren sich weitere Emotionen und Empörung. Der Informationsfluss darf deshalb nicht längere Zeit abreißen, Pressestatements, Pressekonferenzen müssen sehr zeitnah anberaumt werden können. Das setzt Fachkompetenz und klare Zuständigkeiten und Strukturen im Krisenfall voraus. Hinzu kommt: Ist beispielsweise wie hier die documenta mit Informations- und Bildmaterial vorab vorbereitet, die sie veröffentlicht, nimmt sie den Angreifern den Wind aus den Segeln und wird nicht zum Getriebenen. Gut auf die Krise vorbereitet, reagiert sie nicht nur, sie agiert. Und setzt eigene Schwerpunkte in der Krisenkommunikation – rasch und gut getaktet.

Die nächste documenta muss mit Kommunikationskompetenz ausgestattet sein, auch mit Krisenkommunikation: präventiv, schnell agierend, ehrlich, vertrauenswürdig, glaubwürdig und empathisch

Auch das ist absehbar: Bei der 16. documenta wird die Fachwelt, insbesondere aber die Medien, auf die documenta fifteen rekurrieren. Die neue Geschäftsführung der documenta und Museum Fridericianum gGmbH sollte dies schon jetzt berücksichtigen. Der Verweis auf einen Verantwortlichen, der Ansprechpartner für die Presse und Medien ist oder ein Pressesprecher, sind nicht ausreichend und sind es nach der Krisen-documenta des Jahres 2022 schon gar nicht. Kompetenzen in Krisenkommunikation in Konzeption, Strategie und ganz konkreter Umsetzung können zeitlich angemessen vor der nächsten, der documenta 16, die vom 12. Juni bis 19. September 2027 stattfindet, aufgebaut bzw. eingekauft werden.

Deutlich wirksamer als ein routinierte Unternehmenskommunikation oder Pressesprecher: gut vorbereitet auf Krisen durch Konzeption, Ablaufpläne, erstellte Materialien – stark im Auftritt!

Neben dem internen Aufbau von Kompetenzen in Krisenkommunikation besteht auch die Möglichkeit des externen Zukaufes. Dabei sollte aber auch eines bedacht werden: Ein Auftritt aus der ersten Reihe wirkt stärker als ein interner oder externer Kommunikationsprofi. Krisenkommunikation war immer dann stark wirksam, wenn sie aus der ersten Reihe erfolgte. Anders ausgedrückt: Wir nehmen die Kritik so ernst, dass sie Chefsache ist, des Ceo. Er stellt sich der Kritik, nimmt sie damit ernst und erläutert glaubwürdig und nachvollziehbar, wie sich die Situation aus Sicht der Organisation darstellt, wie immaterieller und/oder materieller Schaden wieder gut gemacht wird und zukünftig verhindert werden soll. Mit einem intensiven Auftrittscoaching können Geschäftsführer und Ceo vorbereitet werden. Sie sind Teil einer professionellen Krisenkommunikation.

 

Fotos: © Manfred Baumert/Kassel, 2022

 

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